Italienisches Design löst in mir etwas aus. Früher hatte ich Poster mit Ferraris in meinem Zimmer hängen. Natürlich habe ich mir vorgestellt, irgendwann einmal einen zu fahren. Nicht zum Posen, um Status zu zeigen oder um etwas zu kompensieren. Sondern einfach wegen der Emotion, wegen des Designs. Nun kommt mir mit Mitte Dreißig in der aktuellen Lebens- und Planetensituation der Gedanke einen Sportwagen zu fahren im Nachhinein erstaunlich bescheuert vor. Aber die Liebe zu italienischem Design hört da ja nicht auf. Ein Porsche mag das besser konstruierte Auto sein, eine BMW das bessere Motorrad und Canyon hat bei Rädern das bessere Preis-Leistungsverhältnis. Aber die Freude und Emotion, die Euphorie und die pure Eleganz und Lebensfreude, die einem entgegenschlägt, wenn man vor einem Ferrari steht, einer Ducati, oder eben einem Bianchi.

Traumhafte Landschaften, Espresso, Gelato, perfekt sitzende Anzüge, Dolce Vita, Tiramisu, schöne Menschen, der Wert der Familie. Auch wenn Italien politisch betrachtet eher an eine Bananenrepublik erinnert, kommt mir der Verdacht, dass die deutsche Überheblichkeit doch primär dem Neid geschuldet ist.
Nun bin ich nicht sehr materialistisch eingestellt, und ich neige auch nicht zu irrationalen Leidenschaften. Selbst der Benz ist relativ kurzerhand aus meinem Leben verschwunden in dem Bemühen, sich zu verschlichtern. Nur von den alten Italienerinnen in meinem Leben kann ich mich nicht trennen. Bei der Ducati ist dieses Jahr die große Inspektion fällig. Autsch. Liebe tut weh. Bei der anderen Diva komme ich da hoffentlich ein bisschen günstiger weg.

Bevor es cool war
Die andere Diva ist ein altes Bianchi Rekord. Im für die Marke typischen Celeste, also himmelblau, das der romantischen Legende zufolge der Farbe des Rocks von Margarethe von Italien nachempfunden ist, der Eduardo Bianchi Ende des 19. Jahrhunderts persönlich das Rad fahren beigebracht haben soll1. Die Farbe ist zwar eher türkis, und wechselt über die Jahre von Model zu Model immer mal wieder in den Farbtönen, aber was bin ich für ein trampeliger Tedesco, mich über solche belanglosen Details auszulassen. Die Legende ist wunderbar, wahrscheinlich falsch oder zumindest übertrieben, aber dafür schön. Und das ist doch was zählt!
Das Rad ist seit nunmehr acht Jahren in meinem Besitz und war ein Geburtstagsgeschenk der wunderbaren Mona, die überhaupt erst wieder das Rad fahren in mein Leben gebracht hat. Ich hatte immer von diesen traumhaften, himmelblau-türkisen italienischen Rädern geschwärmt. Und man möchte betonen, bevor es so richtig cool war! Damals war das Fahrrad in leidlich gutem Zustand (mit neuem Sattel und neuen Pedalen) in Heidelberg für unter 100 Euro zu haben gewesen. Heute muss jeder Hipster mit irgendeinem Vintage-Rennrad unterwegs sein. Und seit ich auf eBay Kleinanzeigen nachgeschaut habe, was ich heute für dieses Rad bekommen würde, stelle ich es nur noch seeehr ungern außer Sichtweite ab.
Hingucker Bianchi
Ich habe kein Loft mit Ziegelwand, an die ich das Bike hängen kann. Und kein Wohnzimmer, in das ich die Ducati schieben könnte als Design-Element. Die italienischen Preziosen werden genutzt. Lange Jahre war das Bianchi mein einziges Alltagsrad, Sommer wie Winter. Und so gerne ich auch eine 749 ohne Kratzer und mit nur 5000 km in der trockenen Garage stehen hätte, so gerne hätte ich einen italienischen Retro-Renner ohne Rost am Rahmen und ohne Delle in Kettenblatt und Felge. Aber das hätte auch geheißen, die tausenden Kilometer nicht gemacht zu haben auf diesen Maschinen, in die ich mich immer wieder verliebe, wenn ich sie sehe – und die immer wieder auch andere Köpfe verdrehen.
Das Fahrrad, bislang noch in weitgehender Originalausstattung, ist in etwa so alt wie ich, vielleicht älter. So genau weiß ich das nicht. Und genau wie bei mir machen sich mittlerweile einige Zipperlein bemerkbar. Die Roststellen am Rahmen sind das eine. Die verschlissenen Ritzel, Unwucht in Kettenblatt und Felgen, knarzendes Tretlager und rastender Steuersatz am Lenker das andere. Kurzum, es ist dringend Zeit für viel Liebe. Eine Generalüberholung ist fällig.
Ich bin kein versierter Zweiradmechaniker, aber ich schraube gerne. Und wie der Zufall so will, habe ich mir gerade einen Werkzeugkoffer für Arbeiten an Fahrrädern angeschafft. Also ist das Projekt für diesen Winter: Komplette Restauration der Diva. Und zwar inklusive eines neuen Singelspeed-Antriebs und der kompletten Instandsetzung des Rahmens inklusive neuer (originalgetreuer) Lackierung.


40 Jahre alter Rost
Deshalb erstmal alles auseinander nehmen. Und schon da fangen die Probleme an. Was etwa 40 Jahre Korrosion so anstellen können, habe ich gestern gemerkt. Die Kurbel war nur auf Kosten des Innengewindes vom Tretlager abzubekommen. Der Vorbau ist so sehr mit der Gabel verbacken, das ich daran schier verzweifelt bin. Ich hoffe, das WD40 tut aktuell noch seinen Dienst und kann die Menge an roher Gewalt, die es benötigen wird, um die Teile zu trennen, etwas reduzieren. Selbst die Schrauben, mit denen der Getränkehalter am Rahmen befestig ist, waren nur mit einer Zange und jeder Menge Geduld, Spucke und Kriechöl zu lösen.
Dennoch hängt die Schönheit jetzt so gut wie nackt am Montageständer. Sollte ich irgendwann die Gabel vom Rahmen gelöst bekommen, wird der nächste Schritt sein, den Rahmen komplett zu restaurieren. Ich schwanke noch, ob ich das Entlacken mit Dremel und Schleifpapier selbst angehe, oder irgendwo günstig jemanden auftreiben kann, der Sandstrahlen kann.

Jedenfalls freue mich schon auf das Lackieren und lese fleißig die Diskussionen, welcher RAL-Farbcode denn dem Bianchi-Celeste am nächsten kommt. Man stellt fest, natürlich war Margarethe in ihrer Farbwahl sehr italienisch: Sieht gut aus, hält sich aber natürlich nicht an die deutsche Konvention der Farbcodierung im „Reichs-Ausschuss für Lieferbedingungen“. Man muss sie einfach lieben, die Italiener.
Pingback: Rekord 904 - kOpinion