Mandat für die Zukunft

Während des MBAs sagte mein Ökonomie-Professor einmal “Wer in der Jugend nicht links ist, der hat kein Herz. Wer im Alter nicht konservativ ist, der hat kein Hirn.” Professor Schröder war nicht nur sehr alt, sondern auch sehr konservativ. Er hatte in den 90ern sogar dem Beraterstab von Helmut Kohl angehört. Wer mich kennt, der weiß, dass wir während der Vorlesung einige Meinungsverschiedenheiten ausdiskutiert haben. Und trotz der teils unversöhnlichen Standpunkte (und seiner kauzigen Art), habe ich ihn nicht nur geschätzt, er hat mich auch dazu gebracht, im Nachhinein noch viel und oft über seine Aussage nachzudenken.

Seine Sichtweise hat einen Punkt. Aber ich widerspreche ihr vehement. Primär deshalb, weil sie nicht mehr in die aktuelle Zeit passt. Das wird umso relevanter und schmerzlich deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie bei der kommenden Bundestagswahl die Machtverhältnisse von alt und jung in diesem Land verteilt sind. Alle Wahlberechtigten unter 40 machen zusammen nur gut ein Viertel der Stimmen aus. Und dabei geht es diesmal so sehr wie nie zuvor um eines: Zukunft. Es entbehrt nicht eines gewissen Zynismus, dass darüber mehrheitlich von denen entschieden wird, die weniger davon vor sich haben.

Altersverteilung bei der Bundestagswahl
Es geht um die Zukunft. Und die ist in unserer Demokratie unterrepräsentiert.

Das ist auf Grund der invertierten Alterspyramide in den westlichen Industrienationen schon lange so. Aber die Heftigkeit, mit der die Probleme und Krisen der Zukunft gerade an unsere Tür klopfen ist neu. Natürlich kommt das nicht von Ungefähr. Es hat sich lange angekündigt – und wurde genau so lange für den wohligen Status Quo und den Unwillen zur Veränderungen ignoriert. Jetzt brennt’s. Sowohl metaphorisch als auch ganz real.

Konservatismus als leere Hülle

Es ist ja kein Zufall, dass ältere Menschen zum Konservatismus neigen. Im Gegenteil, eigentlich ist es doch ein Ausweis davon, dass vieles gut läuft: Man ist zufrieden mit dem Leben, dass man hat. Den Druck, sich zu verändern spürt man nicht. “Conservare”, die Wortherkunft ist lateinisch und bedeutet so viel wie “bewahren” oder “erhalten”. 

Doch der Konservatismus hat sich überholt. Er ist bedeutungsleer geworden. Denn was erhalten die Konservativen denn gerade. Der Planet oder eine gerechte Gesellschaft sind es jedenfalls nicht. Das wird deutlich, wenn man auf die Inhaltsleere und Ratlosigkeit schaut, mit der das Programm der CDU/CSU im Vagen bleibt1. Bloß niemandem wehtun, bloß keine Weichen stellen. 

Wenn einem der “Wind der Veränderung” (Armin Laschet im Triell) ins Gesicht weht, ist das Versprechen der Union Standhaftigkeit. Man darf sich aber fragen, ob das so viel Sinn macht, wenn dieser Wind ein 400 km/h-Orkan mit Sturmflut ist (wieder metaphorisch als auch ganz real).

Die einzige Lesart, die Sinn macht, ist der Perspektivwechsel. Es geht nicht um das inhaltliche Bewahren, es geht ausschließlich um das Bewahren der eigenen Machtstrukturen. Das erklärt die panische Agitation, mit der die CDU/CSU in Anbetracht der schlechten Umfragewerte und des drohenden Machtverlusts aktuell im Wahlkampf um sich schlägt.

Dabei herrscht in der Analyse eine erstaunliche Einigkeit mit den anderen Parteien: Wir stehen am Scheideweg. Dieses Land braucht Erneuerung, Weichenstellungen. Die Absurdität, das zu proklamieren, wenn man gerade im 16. Jahr in der Regierung ist, offenbart die ganze Ratlosigkeit der deutschen konservativen Politik2.

Unfähigkeit? Sehr erfolgreiche Lobbypolitik!

Angela Merkel wurde gefeiert als erfolgreiche Krisenmanagerin, als Verwalterin eines Landes, das ganz gut dastand und das es teilweise immer noch tut. Aber die Baustellen werden immer offensichtlicher. In puncto Zukunft jedoch war die Regierungszeit gerade der letzten zehn Jahre ein einziges Versagen.

Ob verschlafene Digitalisierung oder von Andi Scheuer verbockte Verkehrswende, ob Zickzack-Kurs beim von rot-grün schon lange beschlossenen Atomausstieg (inklusive großzügiger Entschädigungsgeschenke von 4 Milliarden Euro an RWE und Co.) oder das Ausbremsen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ob regelmäßig verfassungswidrige Überwachungsgesetze und Vorratsdatenspeicherung oder das auf der rechten Seite blinde Auge (NSU, Hanau und Co.). Es ist zum Heulen.

Für eine komplette Chronik vom Ausmaß der Unfähigkeit fehlt mir die Zeit, und das haben andere deutlich besser gemacht, als ich es je könnte. Der allseits bekannte Rezo zum Beispiel3 4 5. Aber vielleicht ist es gar nicht nur Unfähigkeit. Vielleicht hat vieles sehr lange sehr gut funktioniert für die Konservativen, bei denen auf Grund von üppigen Nebeneinkünften aus der Industrie oft nicht klar ist, wessen Interessen sie eigentlich vertreten. Im Zweifel ihre eigenen, wie nicht zuletzt die vielen Korruptionsskandale zeigen.

So schreckt die CDU/CSU nicht vor wissenschaftlichen Halbwahrheiten zurück6 7, macht Schwurblern und Rechten (Maaßen) Avancen und verkauft einen Anwalt aus dem Sauerland mit makroökonomischen Theorien aus dem letzten Jahrhundert, der niemals seine Wirtschaftskompetenz nachgewiesen hat, mit einer hanebüchenen Selbstverständlichkeit und Arroganz als Experte für eben jene Themen (Merz)8.

Filz statt Werte. Angst statt Visionen.

Was die Union nicht anzubieten hat: Glaubhafte authentische Werte (siehe Korruption) und konkrete Visionen für eine lebenswerte Zukunft (siehe das komplette Wahlprogramm). Und so bleibt nur, den Menschen Angst zu machen. Angst vor einer unkontrollierbaren Zukunft, die Veränderung mit sich bringt. Das Versprechen der Union ist gleichsam eine einzige Lüge: Wählt uns und alles bleibt wie es ist. Das ist fatal!

Statt eigene Lösungen zu präsentieren wird die Angst vor politischen Horrorszenarien geschürt: Was die Grünen nicht alles verbieten wollen. Was das alles kostet. Mit rot-grün-rot kommt direkt der Kommunismus und alle werden enteignet… so ein Schwachsinn! Verbote waren es, die in den vergangenen Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien fast zum Erliegen gebracht haben und knapp 100.000 Jobs gekostet haben, während die Lobby-Freunde von RWE und Eon freundlich weiter Kohle-Subventionen erhalten haben (20.800 Arbeitsplätze insgesamt9). Der Markt hätte da mal was regeln können, wenn er gedurft hätte. Ach, und Enteignungen finden CDU/CSU ganz ok, solange sie eben für Autobahnen und den Braunkohletagebau sind.

Aber die Kosten für den Klimaschutz, die sich keiner leisten kann? Zumindest nicht ohne eine wirtschaftliche Apokalypse? Auch hier hat Friedrich Merz in Ökonomie nicht aufgepasst. Das Zauberwort heißt Externalitäten. Das sind Kosten, die zwar entstehen, die aber nicht der Verursacher trägt. Die Frage ist doch gar nicht, ob wir uns Klimaschutz leisten können, sondern wie schnell wir pleite gehen, wenn wir es nicht tun – und das in einer Welt, die nicht mehr sehr lebensfreundlich sein wird: Nur ein unvorhergesehenes Starkregenereignis in anderthalb Bundesländern kostet mal eben 30 Milliarden an Wiederaufbauhilfen. Da ist er schon lange, der CO2-Preis, nur unkontrolliert und ohne wünschenswerte Steuerungswirkung.

Wer erlebt noch wie                                   viel von der Klimakrise?
Die einzige Grafik, die es zur Klimakrise braucht.

Konkrete Wahlempfehlung

Und wieder ist es an dieser Stelle ein Appell an die Älteren: Wir leben auf dem Kredit unserer Kinder. Die müssen das am Ende ausbaden (wieder metaphorisch als auch traurigerweise wohl allzu real). Wenn euch etwas am Wohle und der Zukunft eurer Kinder liegt, wählt bitte nicht die CDU. Es geht um soziale Gerechtigkeit im Hier und Jetzt und eine Vision für eine lebenswerte Zukunft. Beides haben die aus der Zeit gefallenen mehrheitlich alten weißen Männer der Union nicht zu bieten.

Im Gegenteil, die vagen Programmpunkte sind in der Gesamtrechnung nicht nur unterfinanziert, sondern entlasten auch in jedem Fall die am meisten, die eh schon viel verdienen. Das sage nicht ich, das hat die der sozialistischen Propaganda eher unverdächtige SZ ausgerechnet:

Wahlprogramme und ihre Kosten
Und die einzige Grafik, die es zum Thema soziale Gerechtigkeit und kostendeckende Finanzierung braucht. Quelle: SZ.

Also, wer verlässliche, quasi-konservative Politik will, kann ja Olaf Scholz wählen. Wer frischen Wind und Zeitgeist will, macht’s diesmal grün. Und wer sich ein noch etwas linkeres Korrektiv in der Regierung wünscht, wählt die Linken. Und wer Millionär ist und auf eine gerechte Gesellschaft nichts gibt, der wählt FDP (das ist wenigstens ein Standpunkt). So einfach ist das10. Doch wer sein Kreuz bei der Union macht, aus irgendeinem fehlgeleiteten Glauben an trügerische Stabilität und eine inhaltsleere Zukunftsprogrammatik, der verschenkt seine Stimme – und ein gutes Stück unserer Zukunft gleich mit.

PS: Dieser Beitrag war mir ein Bedürfnis. Vor vier Jahren startete dieses Blog mit dem Artikel Kein Direktmandat für Zukunft aus Frust über den Ausgang der letzten Wahl und die Uneinsichtigkeit der Deutschen, dass Augen zu halten und Kopf einbuddeln meistens die schlechteste Taktik ist, auf Veränderungen zu reagieren. Diesmal liegt Veränderung in der Luft. Noch als leichte Brise, hoffentlich am 26.09. als Orkan (nur metaphorisch).

PPS: So viel Angriffsfläche Armin Laschet als Person auch bietet11, so sehr habe ich versucht, nicht “ad hominem” zu argumentieren. Wer aber mal kurz lachen und gleichzeitig kopfschüttelnd heulen möchte, schaut sich an wie der Kanzlerkandidat der Union nichtmal in der Lage ist, eingeflüstertes Lobbygewäsch sauber zu parlieren. Viel Glück dabei, Stahl nicht mehr aus Eisenerz und Kohle zu machen, sondern aus Wasserstoff. Ich lege dazu den ersten Satz des Wikipedia-Artikel über Stahl ans Herz12.

https://twitter.com/the_fesch/status/1434821984408514561

Notizen

  1. https://online.fliphtml5.com/kxyi/eyjg/#p=1
  2. was, in geringerem Umfang natürlich auch für den Juniorpartner SPD in 12 Jahren großer Koalition gilt
  3. https://youtu.be/rIj3qskDAZM
  4. https://youtu.be/Ljcz4tA101U
  5. https://youtu.be/4Y1lZQsyuSQ
  6. https://youtu.be/kKrCZBysd0A
  7. https://www.welt.de/politik/deutschland/article232542191/Maybrit-Illner-Das-ist-Bullshit-sagt-Eckart-von-Hirschhausen-zu-Armin-Laschet.html
  8. https://www.fr.de/kultur/tv-kino/maybrit-illner-zdf-robert-habeck-gruene-bringt-friedrich-merz-ins-schleudern-90944903.html
  9. https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/wie-viele-arbeitsplaetze-kostet-der-ausstieg/
  10. wer AfD wählt, ist ein rechter Idiot
  11. https://www.republik.ch/2021/08/23/clownesker-konservatismus
  12. https://de.wikipedia.org/wiki/Stahl

4 Kommentare zu „Mandat für die Zukunft“

    1. Der gepostete Link funktioniert nicht direkt, aber mir ein bisschen Suchen wird man fündig. Die Aussage, die das haben soll, ist mir schleierhaft. In dem Kommentar fehlen leider auch jegliche Argumente. Ist daher aber ein gutes Beispiel für eine problematische Debattenkultur in diesem Land und bleibt deshalb stehen. DK

  1. Na, jetzt kam ich endlich dazu deinen neuen Eintrag zu lesen!
    Sehe das sehr ähnlich, es ist zwingend an der Zeit für frischen Wind. Jede Legislatur, die wir die Energiewende weiter auf die lange Bank schieben kostet uns am Ende nur doppelt und dreifach. Es ist lächerlich, wie Konservative an allen Enden den Wandel verhindern, ein viel zu spätes Ziel für CO2 Neutralität setzen (zusammen mit der SPD), welches mit den aktuellen Maßnahmen sowieso nicht erreicht wird. Wozu diesen Wandel verhindern? Damit wir dann wenn alles schnell gehen muss wieder Milliarden an Auto-, Energie- und sonst welche Firmen zahlen müssen während wir in der Zwischenzeit ohne Ende Jobs im erneuerbaren Energiesektor verloren haben? Absurd.

  2. Pingback: Ökosozialliberales Neustärtchen - kOpinion

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