The Goal is Elevation

Letzte Woche war ich in Köln. Spontan. Allein. An einem Mittwochabend. Nach der Arbeit hin, nachts wieder zurück. Für ein U2-Konzert. Die Karte hatte ich mir eine Woche vorher bei eBay ersteigert. Verhältnismäßig günstig (für 90,- € statt des Originalpreises von 124,90 €) noch dazu. Ich hätte aber auch mehr bezahlt – so wie in der Vergangenheit bereits mehrfach. Gesehen habe ich an dem Abend ein Konzert, das vollkommen anders war, als die sechs Konzerte der Band, die ich seit 2001 gesehen hatte1. Und das doch so unglaublich gut ein Narrativ schloss, auch für mich persönlich.

Bühnenlayout der U2 Experience & Innocence-Tour
Für die Experience-Tour greift U2 auf das gleiche Bühnenlayout zurück wie schon vor 3 Jahren.

Meine Verbindung zu der irischen Band, die sogar in meiner Abi-Charakteristik Erwähnung fand, hat ihren Ursprung auf der Elevation-Tour vor 17 Jahren. Als Teenager war ich auf den gleichnamigen Titeltrack gestoßen, der durch’s Radio als Soundtrack-Version zu Tomb Raider mit Angelina Jolie gespielt wurde, in der Albumfassung aber deutlich besser ist. Im Sommerurlaub bei der Großmutter in Wien besorgte mir ein Bekannter einen Job als Ordner für das Konzert in der Stadthalle. Ein herzförmiger Laufsteg umschloss damals die schnellsten 300 Fans in einem kleinen Innenraum. An der Spitze dieses Herzens auf der Innenseite war meine Position. Der Auftrag war, die Augen stets auf das Publikum zu richten. An der Stelle konnte man nicht anders als dabei gleichzeitig aus nächster Nähe auf die Bühne zu schauen. Im Verlauf des Konzertes hätte ich die Band im Vorbeigehen auf dem hüfthohen Bühnenausläufer problemlos von den Beinen holen können, so nah war ich.

Dabei wurde mir relativ schnell klar, dass mir diese Band bleiben würde.

Daraufhin fing ich an, mich mit den Pop-Rockern um Frontmann Bono auseinander zu setzen. Nicht nur mit Napster-Downloads, sondern auch sehr ernsthaft mit dem Erwerb aller alten Alben und einiger Platten. Ich hörte mich mit wachsender Begeisterung durch die damals schon fast 25-jährige Bandgeschichte. Bootlegs und Live-DVDs gehörten ebenso dazu. Dabei wurde mir relativ schnell klar, dass mir diese Band bleiben würde. Denn zum einen waren die Jungs unheimlich wandelbar – man kann kaum glauben, dass The Joshua Tree und Pop innerhalb von 10 Jahren von ein und derselben Band stammen. Tatsächlich gibt es auch heute noch zu wirklich jeder denkbaren Situation und Stimmung einen passenden U2-Song für mich, auch wenn ich sie zugegebenermaßen lange schon nicht mehr so häufig höre. Und zum anderen ist es einfach die Musik, die einen Nerv trifft: Treibende und zum Teil fast läutende Gitarren von „The Edge“, dazu die unverkennbare Stimme von Bono mit seinen tief gehenden Texten. Und dann diese Gänsehaut-Liveshows, die der Band nicht umsonst mehrfach den Titel „Beste Liveband der Welt“ eingebracht haben. Das hat mich für immer geprägt.

Typisch U2: Politische Statements kamen nicht zu kurz.
Politische Statements waren natürlich auch in Köln dabei: Gegen Trump und Krieg, für Frauenrechte und Europa.

Na klar, die letzten Alben waren weniger mitreißend und auch das Bono’sche Gutmenschentum in den Medien konnte einem zum Teil wirklich auf die Nerven gehen. Besonders wenn man bei den Ticketpreisen der bestverdienenden Band auf diesem Planeten bemerkt, dass hier ganz und gar nichts allein mit Nächstenliebe läuft. Oder wenn man von mutmaßlicher Steuerhinterziehung liest, die Bono angeblich zutiefst bereut und bei der er sich als das schlecht beratene Opfer geriert2. Aber wenn man dann vor der Bühne steht, egal ob in der (einigermaßen) intimen Atmosphäre einer Halle oder auf einer der gigantomanischen Shows in einem ausverkauften Stadion, und dann zu Pride oder Sunday, Bloody Sunday wieder mal ein politisches Statement gegen Trump, gegen Sexismus, gegen Armut und Hunger, gegen den aktuellen Krieg irgendwo auf der Welt oder für Amnesty International, Menschenrechte, Frieden und Gleichberechtigung über die große Leinwand flimmert, dann nimmt man diesem größenwahnsinnigen Frontmann ab, dass er wirklich noch die Welt retten will. Dann glaubt man, dass die Welt ein besserer Ort sein kann und auch das macht den Zauber einer U2-Show aus.

Wisdom is regaining innocence through experience.

Wenngleich viele dieser Elemente auch in Köln Teil der Show waren, ist es auch einigermaßen bemerkenswert, was die Experience & Innocence-Tour so anders macht. Primär mal die Songs, die U2 nicht gespielt haben. Nach der 30-Jahre-Anniversary-Tour im vergangenen Jahr fand sich beispielsweise kein einziger Song vom 1987er The Joshua Tree auf der Setlist. Kein Where the Streets Have No Name und auch kein With or Without You (das man bitte dennoch auf meiner Beerdigung spielen möge). Stattdessen war ein starkes Set der letzten beiden Alben Herzstück einer Show, die sich als Fortsetzung der Innocence & Experience-Tour von vor drei Jahren versteht und die von Bonos turbulenter Kindheit im politisch unruhigen Irland, vom frühen Tod seiner Mutter und den Irrungen und Wirrungen des Rockstar-Lebens handelt. „Wisdom is regaining innocence through experience“ zitiert Bono frei nach William Blake. Am Ende, als er zu 13 eine übergroße Glühbirne aus einer Miniatur seines Geburtshauses holt und über die Bühne schwingen lässt, gelingt auch symbolisch der Zirkelschluss zur Tour von 2015, die mit der Glühbirne anfing.

Eigentlich sollte die Experience-Tour direkt auf die Innocence-Tour folgen, aber ein Radunfall und eine nicht näher erläuterte Nahtoderfahrung3 von Bono brachten den Zeitplan durcheinander. Stattdessen wurde die Joshua Tree-Tour eingeschoben. Und so hätten U2 auf ewig weiter machen können: Alte Kamellen hervorkramen und Geld drucken. Stattdessen muss man die Dramaturgie der Experience-Tour schon fast als mutig bezeichnen4. Als klar formulierten Anspruch, sich musikalisch zu entwickeln und nochmal etwas Neues zu erzählen.

U2-Frontmann Alter Ego: MacPhisto
„When you don’t believe that I exist, that’s when I do my best work.“ – MacPhisto

Und wieder einmal hat der Auftritt der Band in mir eine starke Resonanz hervorgerufen. Auf ganz unerwartete Weise. Ich folgte dem Gig erstmals nicht direkt vor der Bühne, sondern von einem gediegenen Platz im Oberrang – auch das passte. Zur Reflektion, der Retrospektive und dem ungewohnt nachdenklichen Ton der Gesamtveranstaltung. Zum Wiedersehen mit der Kunstfigur MacPhisto von der 1992/93er ZooTV-Tour, dem teuflischen Alter Ego von Bono, der bezogen auf die politische Lage der Welt passend sagte „When you don’t believe that I exist, that’s when I do my best work“. Dem erstmaligen Auftauchen von Acrobat in der Setlist, das gestern hätte geschrieben worden sein können, aber schon 1991 auf Achtung Baby mit der Ambivalenz und dem Wahnsinn des Trump’schen 2018 hadert.  Es fühlte sich auf komische Weise nach Rückschau und Abschluss an. Ganz ohne Nostalgie und mit Raum für etwas Neues, was nun kommen mag. Hoffentlich auch weiterhin mit der musikalischen Begleitung von U2. Und hoffentlich in einer Welt, die besser sein kann. Im ganz Großen, aber auch im ganz Kleinen, Persönlichen.

Notizen

  1. Die komplette Live-Historie:
    2001 – Elevation, Wiener Stadthalle
    2005 – Vertigo, Schalke-Arena
    2009 – 360°, Schalke-Arena
    2009 – 360°, New Cowboys Stadium Dallas
    2010 – 360°, HDI-Arena Hannover
    2015 – Innocence & Experience, SAP Center San Jose
    2018 – Experience & Innocence, Lanxess Arena Köln
  2. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/bono-bereut-investment-im-steuerparadies-a-1176949.html
  3. https://www.rollingstone.com/music/music-features/the-edge-on-u2s-songs-of-experience-bonos-brush-with-mortality-253290/
  4. Die komplette Setlist des Abends: https://www.setlist.fm/setlist/u2/2018/lanxess-arena-cologne-germany-53e86305.html

2 Kommentare zu „The Goal is Elevation“

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