Para Bellum

Die Wortbildung Parabellum taucht immer mal wieder auf. Als Pistole bzw. Munition (Counterstrike-Gamer wissen das) oder zuletzt als Untertitel des letzten Teils der John Wick-Filmreihe. Aber dem zu Grunde liegt ein altes lateinisches Sprichwort: Si vis pacem, para bellum. Also etwa, „wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“. Daran musste ich in den letzten Wochen immer wieder denken. Denn es schien mir selten so passend und (leider) so universal wahr wie aktuell.

Unfähiger Zuschauer?
Unfähiger Zuschauer? Quelle: Daniele Franchi @ Unsplash.com

Die linksgrün-versiffte Pazifistenbubble, der ich mich zweifelsohne zurechne, hat es als Kernaufgabe gesehen, sich über die Unfähigkeit der militarisierten Staatsorgane in diesem Land lustig zu machen. Und als gleichzeitig ernste und wichtige – weil einzig richtige – Aufgabe, auf die rechtsradikalen, rassistischen Drifts in diesen Strukturen aufmerksam zu machen. Polizei und Bundeswehr haben ein Naziproblem. Und das muss man aufzeigen.

Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig. Wo die Wehrpflicht abgeschafft wird, wankt das Konzept des Staatsbürgers in Uniform. Stattdessen werden oft und eher typische Charaktere mit einer gewissen Prädisposition für Waffen und autoritäre Strukturen angezogen. Welcher gut ausgebildete linke Intellektuelle geht schon freiwillig zum Bund…

Das geht sogar noch weiter, denn seien wir doch mal ganz ehrlich: Die Bundeswehr ist ein Witz, die größte ABM in diesem Land, und in der Rolle gefällt sie den Deutschen eigentlich ganz gut. Armee ja gerne, aber kämpfen, puh, äh, eher nicht. Historische Verantwortung und so. Dieses Dilletantentum gefällt der linken Bubble natürlich auch. Und geht sogar bis auf die persönliche Ebene der Soldaten runter.

Ich stamme aus einer Kleinstadt, die bis auf einem Werk für Kunststoffprofile und einem Fliegerhorst der Bundeswehr nicht viel zu bieten hat an Arbeitgebern. Eine Stelle als Soldat? Als Berufssoldat hernach? Jackpot. Gutes Gehalt, sicherer Job, wenig Arbeit. Hin und wieder mal ein bisschen Air Policing im Baltikum (ergo, Betriebsausflug) für die Abwechslung. Und wie ging ansonsten der weitverbreitete Spruch noch: „Ich hab‘ ja schließlich für’s Dienen unterschrieben, nicht für’s Arbeiten.“

Meine Güte, wie falsch wir alle lagen. Aber was sind eigentlich die Probleme, jetzt, wo es wieder einen Feind gibt.

Der Mythos von der kaputtgesparten Armee

Hubschrauber und Eurofighter, die nicht fliegen. Panzer, die nicht fahren. Gewehre, die nichtmal geradeaus schießen können. Scheinbar ist den Deutschen ihre Armee einfach finanziell nichts wert, weshalb sie unter Missachtung des NATO-Zweiprozentziels1 die Bundeswehr kaputtgespart haben. Und nachdem man deutsche Truppen auch eh lieber nicht kämpfen sehen möchte, ist das auch ok. Sorry, wir können leider gerade nicht.

Really? Deutschland hatte 2020 mit knapp 53 Mrd. USD den etwa gleichen Militäretat wie Frankreich und nur etwa 10% weniger als das Vereinigte Königreich – und damit den siebthöchsten der Welt!2 Während aber Frankreich und UK „ernsthafte Armeen“ unterhalten, Atommächte sind und Flugzeugträger um die Weltmeere schippern, trifft der deutsche Hauptgefreite mit dem G36 nichtmal ’ne Bierdose. Im Übrigen sind die Militärausgaben in den letzten Jahren stetig gestiegen.

Das lässt ernsthafte Zweifel daran aufkommen, dass der aktuelle Zustand der Bundeswehr ein Problem ist, dass man nur mit genügend Geld bewerfen müsse. Die von der Regierung versprochenen 100 Mrd. Sondervermögen also lösen die strukturellen Probleme mit Sicherheit nicht.

Es wird immer wieder vom verkrusteten Beschaffungswesen gesprochen. Von Überbürokratisierung. Mir fehlt schlicht die Expertise, um mir dazu eine kompetente Meinung zu bilden. Der Eindruck bleibt allerdings anhand der nackten Zahlen frappierend: Wir gönnen uns als Land eine teure, unfähige Hobbyarmee – zumindest dann, wenn man ihren Auftrag mit „Landesverteidigung“ und/oder „Eingreiftruppe“ im Sinne der NATO definiert.

Die Sache mit dem Auftrag

Ja was ist denn nun dieser Auftrag? Sandsäcke schleppen, wenn irgendwo eine Flutkatastrophe droht? Mit Sicherheit auch, denn „Krisen- und Risikovorsorge“ sowie Hilfe bei „Naturkatastrophen oder in Unglücksfällen“3 gehört dazu. Und das waren in der Vergangenheit auch immer wieder die Bilder, die man gern von der Bundeswehr produzierte und konsumierte. Denn die waren moralisch so schön unproblematisch.

Anders sieht es schon mit den (weiter oben stehenden) Punkten von „Schutz, Verteidigung und Abschreckung“, sowie „Partnerschaft, Kooperation und Hilfe“ aus. Schutz und Landesverteidigung sind ja ganz lang eher theoretische Konstrukte gewesen. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs haben das eh die anderen übernommen (besonders die Abschreckung), danach war ja Frieden in Europa.

Und der partnerschaftliche Bündnisbeitrag? Auch wenn die Bundeswehr in Auslandseinsätzen immer nur eine B-Rolle bekleidet hat (Mali, Afghanistan) war sie auch damit oft überfordert. Die Leistungen der Soldat:innen wurden in der medialen Wahrnehmung nie so recht wertgeschätzt, das gehört sich hierzulande irgendwie nicht. Und dazu hat man sie auch noch schlecht ausgerüstet in Kampfeinsätze geschickt, die zu Hause ja nicht so heißen durften. In Afghanistan hat sich letzten Sommer der ganze Westen bis auf die Knochen blamiert, aber die Bundeswehr war ja zum Teil nicht mal in der Lage, die eigenen Leute auszufliegen.

Gefällige Machtlosigkeit

Es drängt sich das Gefühl auf, dass es allen Seiten gar nicht so unrecht war, sich hinzustellen und zu sagen Sorry, aber wir können leider nicht mehr / nicht besser (außer den armen Kamerad:innen). Das deutsche Selbstverständnis ließ einfach nicht mehr zu. Nicht ganz zu Unrecht, könnte man sagen, denn immer, wenn Deutschland in den letzten 150 Jahren eine ernstzunehmende militärische Macht war, ging das für irgendjemanden nicht ganz so gut aus (inklusive der Deutschen selbst).

Schutzgarantien kamen von der NATO (zuvorderst den Amerikanern), von deren Partnern man im Herzen Europas wohlig bequem umgeben war. Bei den Auslandseinsätzen hat man eh immer lieber moderiert (historische Verantwortung und so) und Landesverteidigung war keine Kategorie, in der man ernsthaft gedacht hat. Nicht einmal Bündnisverteidigung war das.

Es gehörte zum guten, selbstgefälligen Ton, die Bundeswehr zu belächeln. Und das war gut so.

Blitzkrieg ist ein deutsches Lehnwort

Keine vier Wochen ist es nun her, dass ein wahnsinniger Autokrat-turned-Diktator ein souveränes Land mitten in Europa in einem Angriffskrieg überfallen hat, weil er im Anspruch auf den „Boden“ dem angegriffenen Staat das Existenzrecht abspricht. Nein, wir haben nicht 1939 und der russische Blitzkrieg gegen die Ukraine war auch Gottseidank lange nicht so erfolgreich wie sein historisches Vorbild Hitlerdeutschlands gegen Polen. Aber: Wir haben wieder einen klaren Feind im Außen.

Keine Taliban, die sich subtil und subversiv in irgendwelchen Höhlen eines Landes verstecken, von dem die meisten von uns keine Vorstellung haben. Nein, eine reguläre Armee eines Regimes eines europäischen Staates. Da treffen, 1200 km von Berlin entfernt, Staaten aufeinander in „klassischer“ militärischer Konfrontation. Nicht wenige – mich eingeschlossen – hätten einiges darauf verwettet, das so ein „echter“ Krieg in Europa nach dem Ende des 20. Jahrhunderts nie wieder ausbrechen könnte.

Die vergangenen Jahrzehnte haben uns immer wieder gezeigt wie vielschichtig und komplex die Welt und ihre Konflikte sind. Das gilt auch für diesen. Allerdings hier nicht in der militärischen Konfrontation sondern im darunter liegenden wirtschaftlichen Gewebe. Die Diskussionen um Verflechtungen und Sanktionen, Abhängigkeiten und eine fucking Spritpreisbremse (habt ihr noch alle Latten am Zaun eigentlich?) sind, ja, komplex. Aber die moralische Rollenverteilung im militärischen zwischen Gut und Böse, zwischen „Licht und Dunkelheit“ (Zelenskyy), zwischen völkerrechtswidriger Aggression und unendlichem Leid der Opfer, die war selten so klar.

Verantwortung und Werte

Das lässt unangenehm wenig Raum, sich wie gewohnt aus einer militärischen Verantwortung heraus zu lavieren. „Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die es verdient“, sagte der ukrainische Präsident an Bundeskanzler Scholz gewandt in seiner Rede im Bundestag am 17. März. Deutschland hätte diese Rolle gerne als führender Moderator oder Diplomat gesehen. Als führende Wirtschaftsmacht in Europa. Aber das war nicht gemeint. Es ging um die Armee.

Die größte Volkswirtschaft Europas hat eine Verantwortung, die auch eine militärische ist. Vor der kann man sich, spätestens seit Ende Februar 2022, nicht mehr verstecken. Auch wenn viele, inklusive mir, gehofft hatten, sich dieser Verantwortung nie stellen zu müssen. Fragt mal Robert Habeck und Annalena Baerbock, die als Grüne gerade Waffenlieferungen in einen Krieg autorisieren, Kohlekraftwerke als essentielle Stromlieferanten akzeptieren, und Gasdeals mit dem nächsten Unrechtsstaat (Qatar) verhandeln müssen.

Natürlich soll jetzt nicht Deutschland mit eisernem Kreuze die militärische Führung in Westeuropa übernehmen. Das wird auch kurzfristig gar nicht umzusetzen sein. Aber jetzt ist der Moment der Wahrheit, in dem dieses Land sein unwohliges Gefühl zur eigenen militärischen Identität endlich auf die Reihe kriegen muss. Dieser Moment der Flexion ist teuer erkauft. Nämlich damit, dass Ukrainier gerade gesamteuropäische Werte mit ihrem Leben verteidigen, während NATO und EU an der Seitenlinie stehen und im Wesentlichen militärisch aus Sachzwangslage heraus nichts tun und zuschauen4.

Es gibt auf Grund der delikaten Balance an der Klippe zu einem paneuropäischen (Welt)Krieg gerade wenig andere Möglichkeiten, so wütend und traurig das macht. Und so enttäuschend das für die Ukraine sein mag. Aber die groteske „Unvorbereitetheit“, um nicht zu sagen die dümmliche Naivität, speziell Deutschlands, darf sich nicht wiederholen. Auch militärische Optionen sind diplomatische Verhandlungsmasse. Für manchen Diktator sogar die einzige, die er versteht.

So sehr es schmerzt, das zu schreiben, aber die Bundeswehr muss ihren Teil leisten, als ernstzunehmende, schlagkräftige Armee. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass auch dies nur als weiterer Schritt der europäischen Integration zu leisten ist. Im Aufbau gemeinsamer defensiver Kapazitäten der europäischen Staaten. Frei nach dem Motto: Si vis pacem, para bellum.

Notizen

  1. Die NATO-Mitgliedstaaten haben sich eigentlich dazu verpflichtet, 2% ihres Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungsetat zu stecken
  2. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
  3. https://www.bmvg.de/de/themen/verteidigung/bundeswehr-parlamentsarmee/der-auftrag
  4. von Waffenlieferungen abgesehen

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