Die Zukunft is schon da – nur eben noch nicht hier

Der Benz ist weg und außer aus nostalgischen Gründen vermisse ich das eigene Auto tatsächlich nicht. Als ich vor zwei Wochen einen über eBay Kleinanzeigen aufgetanen Grill abholen wollte, hatte ich dann auch endlich mal die Gelegenheit, WeShare und die neuen Elektrofahrzeuge von VW auszuprobieren. Mit gemischtem Erfolg (Euphemismus).

E-Grill im E-Auto
E-Grill im E-Auto ❤️

Zunächst mal das Positive: Tesla ist – erwartbar – keine gute Aktie mehr. Beim Einsteigen in den ID.3 merkt man schon: Autos bauen können die Deutschen. Na klar, ich saß bereits vor zweieinhalb Jahren im Mercedes EQC, und natürlich ist ein Tesla dagegen eine billige Kiste. Aber das Differenzierungskriterium sind halt eben nicht mehr Spaltmaße und satter Türenklang. Besonders in den letzten Jahren und im Premium-Segment.

Umso interessanter also, was die deutschen Autobauer Teslas Model 3, dem “E-Auto für die Massen” (wenn man annimmt, dass die Massen sich ein Auto für 35.000 Euro kaufen) entgegenzusetzen haben. VW spielt dabei eine wichtige Rolle, als größter Autobauer der Welt, eben als Platzhirsch im Massenmarkt. Die Ausgangslage und die bisherigen Zukunfgtserwartungen sind schnell umrissen:

  • VW verkauft 2,43 Millionen Fahrzeuge pro Quartal 1
  • Tesla verkauft im gleichen Zeitraum 184.800 2
  • Börsenwert VW 124,84 Mrd. Euro (Stand 22.05.)3
  • Börsentwert Tesla 464,01 Mrd. Euro (Stand 22.05.)4

Zwar hat Tesla in den letzten Quartalen jeweils einen kleinen Gewinn verzeichnen können, der war allerdings maßgeblich auf den Verkauf von selbst nicht genutzten CO2-Zertifikaten zurück zu führen. VW dagegen konnte selbst die Abgasaffäre nicht wirklich schaden. Im Gegenteil, die darauf folgenden Umtauschprogramme waren eher Subventionen. Und mittlerweile hat man dann auch den Eindruck, die Sache mit den Elektroautos nehmen die Wolfsburger nun mal ernsthaft in Angriff.

Die Börse antizipiert mit ihrer Unternehmensbewertung die Zukunft. Luftige Hoffnungen angetrieben von billigem Zentralbankgeld. Denn diese Bewertungsniveaus für die kalifornische Firma gegenüber dem weltgrößten Autobauer können eigentlich nur gerechtfertigt sein, wenn man davon ausgeht, dass Tesla in absehbarer Zeit selbst diesen Titel erbt. Und das sehe ich noch lange nicht. Nicht bei der Dichte an E-Auto-Startups, die in den Markt drängen. Und nicht bei der zu erwartenden Reaktion der etablierten Autohersteller mit ihrer jahrzehntelangen Expertise. „Das Imperium schlägt zurück“ – und es fängt gerade erst an.

Nun hatte ich also einige Freude den ID.3 – natürlich an jeder Ampel zu flink – durch Hamburg zu bewegen. Denn was Fahrspaß angeht sind E-Autos ja sowieso ungeschlagen. Angekommen in Langenhorn habe ich den Wagen per App abgeschlossen, einen Zwischenstopp vermerkt (die Miete zu beenden wäre hier unklug gewesen, da außerhalb des Abstellgebiets), und den Grill abgeholt. Der passte dann auch so gerade in den Kofferraum.

Was es in diesem Auto nicht zu finden gibt: Einen Schlüssel. Eine vorgesehene Fläche. Ein Bordbuch.

Leider wusste ich so gar nicht, was mit der Meldung „Schlüssel nicht erkannt“ anzufangen war, die mir das Kombiinstrument beim Startversuch entgegen schleuderte. Auch nach Durchsicht aller Tutorial-Videos war von einem Schlüssel nichts zu finden. Abschließen ließ sich der Wagen zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr. 

Ein Anruf beim Support und eine Suche im Menü der Head Unit brachten relativ schnell Gewissheit über die Ursache des Problems: Kein mobiles Internet. Ich hatte in einem Funkloch geparkt. Mitten in Hamburg. Und ohne Verbindung nach Hause lässt sich der Wagen nicht mehr starten. Einen „Manual Override“ scheint es gar nicht erst zu geben (Schlüssel liegt nämlich wirklich keiner im Wagen).

Deutschland und Internet, das passt irgendwie nicht so zusammen.

Der freundliche Chris vom Support sagte mir dann am Telefon auch entsprechend resolut „Das war‘s dann Wohl“. Auf meine verdutzte Nachfrage, was das denn nun hieße, erwiderte er, ich solle mir doch ein anderes Verkehrsmittel für die Rückfahrt nehmen. Mittlerweile hatte es in Strömen angefangen zu regnen, keine Ubahn weit und breit und Carsharing ist in Langenhorn auch nicht mehr…

Das Ende vom Lied: Ich bin mit dem Grill im Taxi nach Hause gefahren. Und hatte am nächsten Morgen eine Rechnung über eine WeShare-Ausleihe von 15 Stunden und 50 Minuten im Postfach. Natürlich wurde das nach einer Mail an den Support korrigiert und ja, ich kriege wohl auch die Taxi-Kosten erstattet (übrigens aus Protest gebucht über FreeNow, der Konkurrenz).

Aber, generell fasst das unsere Situation hier ganz gut zusammen: Autos bauen können wir. Auch E. Jedoch ein Geschäftsmodell auf der ständigen Verfügbarkeit von mobilem Internet aufbauen zu lassen, ist im digitalen dritte-Welt-Land Deutschland auch in 2021 noch eher so eine semi-gute Idee. Ganz davon abgesehen, dass ich auch nicht ganz verstanden habe, warum ich mir das Taxi für den Heimweg habe selbst organisieren müssen und proaktiv werden musste, um da die Rechnung erstattet zu bekommen.

Die Zukunft ist also schon da, nur eben noch nicht ganz hier…

Notizen

  1. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autoindustrie-volkswagen-steigert-absatz-um-ein-fuenftel-china-geschaeft-besonders-stark/27102250.html?ticket=ST-1998533-buKkphdyky4ulZHB1HqU-ap6
  2. https://www.businessinsider.de/wirtschaft/mobility/tesla-vermeldet-fuer-das-erste-quartal-2021-die-hoechsten-auslieferungszahlen-der-unternehmensgeschichte/
  3. www.finanzen.net
  4. www.finanzen.net

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